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Farbe ist Berührung des Auges, von Dr. Jutta Mannes, 2010

„Farbe ist Berührung des Auges“ – mit diesem poetisch klingenden Titel spielt die Künstlerin Doris Hahlweg auf unsere Wahrnehmung von Farben und ihre biologisch-physikalischen Grundlagen an, die in der Tat etwas mit einer Art Berührung zu tun hat. Wenn es hell genug ist, lösen Photonen in den Sehzellen, genauer gesagt, in den Zapfen, durch einen chemischen Vorgang elektrische Signale aus. Diese werden dann über die Sehnerven, die in der Netzhaut beginnen, ins Zentralnervensystem geleitet und dort zu einem Farbeindruck verarbeitet. Das Bewusstsein ist an diesem Vorgang nicht beteiligt. Farbe ist demnach eine Empfindungsgröße.

Wie genau das Farbensehen funktioniert, hat die Wissenschaft allerdings bis heute nicht vollständig erklären können, es gibt dazu verschiedene Theorien. Höchst erstaunlich ist aber das große wahrnehmbare Farbspektrum des Menschen, das von Violett bis Dunkelrot reicht. Es umfasst 7 mal 10 hoch 6 Farbtöne, also insgesamt 7 Millionen Farbnuancen.

Nun will ich Sie nicht weiter mit Biologie und Physik langweilen, aber genau um diese Zwischentöne und Nuancen geht es Doris Hahlweg. In keinem ihrer abstrakten Bilder verwendet sie reine Buntfarben oder gar „Unvermischtes“ aus der Tube.

Ihr Malprozess beginnt streng genommen mit dem Anmischen der Pigmente. Diese stehen in großer Zahl in allen erdenklichen Farben in ihrem Atelier bereit. Lebhaftes Interesse an der Maltechnik und eine gehörige Portion Experimentierfreude lassen sie verschiedenste Töne zusammenmischen. Dazu mengt sie unterschiedlichste Zusatzstoffe, die die Eigenschaften der Farbmasse verändern und damit auch den Verlauf des Malprozesses beeinflussen. Das kann z. B. Glasmehl oder Kieselsäure sein, was die Farbe poröser oder lichtdurchlässiger macht. Es können auch hochwertige irisierende Partikel sein, die der Farbe auf dem metallenen Untergrund einen geheimnisvollen Schein verleihen. Als Bildträger wählt Doris Hahlweg nämlich immer eine Aluminiumplatte. Diese, metallisch glänzend, hart und mit klaren geraden Kanten, stellt für sie eine Herausforderung eigener Art dar.

Der malerische Prozess selbst ist bei Doris Hahlweg in keiner Weise vorhersehbar. Die Künstlerin geht intuitiv, also ohne Konzept und Strategie ans Werk. Mit Pinsel und Spachtel trägt sie Schicht für Schicht Farbbahnen auf, mal lasierende, mal opake, mal grobkörnige, mal dickflüssige, mal dünne. In einigen Bildern verlaufen sie horizontal - dann wieder vertikal. Dadurch entsteht manchmal der Eindruck, als seien sie gewoben. Bei anderen tritt z. B. Orange in die Bahn von Violett und flüssige Farbe läuft in Nasen über die Bildfläche, schafft eigene Bogenfelder, die gefüllt zu werden verlangen. Kleine unvorhergesehene, durch ein Versehen entstandene Unregelmäßigkeiten werden sogleich in den Malprozess einbezogen.

Sieht man genau hin, lässt sich der Entstehungsprozess der Tafeln manchmal ein Stück weit noch am fertigen Bild nachvollziehen. So scheint unter hellem Gelb ein dunklerer Grund durch. In einem anderen Bild deckt das helle Olivgrün die farbigen Bahnen zu und lässt nur ein paar blaue Streifen stehen. Diese wirken nun wie dicke Striche und fast wie eine Zeichnung. In einem anderen Bild hat sich dunkles Umbra auf Kosten einer lebhaft farbigen orange-gelb-roten Schlierenschicht breitgemacht, die nur noch in den Randpartien offenliegt. Wie überhaupt oft an den Kanten darunterliegende Farbschichten hervorlugen und so vieles über vorherige Bildzustände verraten. Im Streiflicht ist an der feinen Oberflächenstruktur der obersten Farbschicht das darunterliegende zu erahnen.

Wenn die Farbtafeln Doris Hahlwegs auf den ersten Blick schnell geschaffen scheinen, dann täuscht dieser Eindruck. Ihre Arbeit an einem Bild erstreckt sich über einen langen Zeitraum, manchmal über mehrere Jahre. Stets arbeitet sie an mehreren Bildern gleichzeitig – und zwar so lange bis ein ausgewogener Farbklang erreicht ist - oder - eine gewisse Räumlichkeit, eine Balance, die aber nichts zu tun hat mit allgemein empfundener Harmonie oder gefälliger Schönheit.

Die Bilder Doris Hahlwegs offenbaren in ihrem überraschend vielfältigen Bildgeschehen eine sehr große Variationsbreite. Nichts fürchtet die Künstlerin mehr als aufkommende Langeweile oder nachlassende Intensität. Ein Arbeiten in Serien ist für sie völlig unvorstellbar, weswegen sich ihre Arbeiten auch nur schwer in Gruppen zusammenfassen lassen.

Eine eigene Werkgruppe bilden allenfalls die raumgreifenden Bildinstallationen. Hier löst sie die Farbfelder von der Wand ab und stellt die flexiblen Platten in den Raum. Auf diese Weise entsteht, wie im kleinen Raum nebenan, ein dreidimensionales, begehbares Rundumbild. Die Bildinstallation im großen Saal nebenan erinnert entfernt an eine Landschaft. Solche Assoziationen lässt Doris Hahlweg auch durchaus zu. Es handelt sich hier aber immer um temporäre Installationen, die nach der Ausstellung wieder verschwinden.

Einen goldenen Mittelweg gibt es in ihrer Malerei nicht. Zufall ist für Doris Hahlweg ein tragender Begriff, das beständige Element der Arbeit. Vom Material her bereit sein, sich zu öffnen, sagt sie. Ohne Geduld funktioniert das nicht. Geduldig sein bedeutet auch, die Ungeduld auszuhalten. Zufall ist, was dir zufällt. Das Leben ist vielleicht mehr das Produkt von Zufällen als von Entscheidungen. Die Kunst mit Sicherheit nicht. Die Bilder, obwohl die Überraschung zum Werden gehört, dürfen nicht von Zufällen bestimmt sein. Das gelungene Bild ist immer zur Entscheidung getrieben worden.

Dass man Bilder mit Worten nur unzureichend beschreiben kann, die Sprache nur bedingt geeignet ist, sich Bildern anzunähern, ist oft gesagt worden. Für die Farbtafeln von Doris Hahlweg gilt dies dennoch in besonderer Weise. Ihre Stimmigkeit muss letztlich jeder selbst empfinden. Lassen Sie sich also von ihren Farben berühren. Das geht natürlich zunächst über die Augen, durch die unsere Sinne angeregt werden. Damit komme ich, sie werden sich erinnern, wieder an den Beginn meiner Ausführungen zurück. Photonen, Zapfen, elektrische Impulse. Das klingt hart. Bei den Farbtafeln Doris Hahlwegs dürfen sie aber gewiss sein: Die Berührung ist zart gemeint.

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